Uns Menschen fällt es leicht, Sachverhalte aus der Perspektive eines anderen zu betrachten. Ab einem bestimmten Alter wissen wir, welche Dinge eine Person sieht, selbst wenn sie in eine vollkommen andere Richtung blickt als wir selbst. Dass das auch in der Tierwelt möglich ist, konnte bislang nur an Rabenvögeln und Menschenaffen bewiesen werden. Forscher der Veterinärmedizinischen Universität Wien nahmen sich nun jedoch auch den Hunden an und brachten erstaunliche Ergebnisse zutage.
Das Verhalten der Fellnasen im Test
Rund um Ludwig Huber befasste sich ein Forscherteam in Wien mit der Beobachtung von Hunden und deren Fähigkeit zur Perspektivenübernahme. Hierfür mussten sich insgesamt 16 Hunde mehreren Tests unterziehen. Im Zentrum stand hier die Frage: Kann ein Hund sich vorstellen, was ein Mensch sieht und sein Verhalten hiernach ausrichten?
So wurden die Vierbeiner im ersten Versuch zwei Personen gegenübergestellt. Auf dem Boden standen zwei leere Dosen, die jede für sich nach Futter dufteten. Eine der beiden Personen versteckte nun Futter in einer Dose. In welcher genau, blieb sowohl für die Hunde als auch für die zweite Person unklar. Im Anschluss gaben beide Menschen den Hunden Hinweise darauf, in welcher Dose sich die versteckten Leckereien befinden und die Vierbeiner mussten sich entscheiden.
Ein weiterer Test, auch „Schau hin, schau weg“-Versuch genannt, basierte auf insgesamt drei Personen und einem Hund. Hinter einem Sichtschutz standen mehrere leere Schalen, wobei eine von einer Testperson mit Futter gefüllt wurde. Die Personen links und rechts nebenan stellten sich so auf, dass beide in die gleiche Richtung blickten. Einer von beiden sah also von den Schüsseln weg und der andere zu den Schüsseln hin. Folglich war es nur einem Menschen möglich, das Versteck auszudeuten und den Hunden den entsprechenden Hinweis zu geben.
Die Ergebnisse dieser Versuche erwiesen sich als überraschend deutlich. In rund siebzig Prozent der Durchläufe wählten die Hunde die Person aus, die sich als Informant am ehesten eignete und fanden das Futter auf Anhieb. Es musste ihnen also möglich gewesen sein, zu verstehen, über welches Wissen und welche Perspektive ein Mensch verfügt und diese Informationen für sich zu nutzen.
Eigennutz spielt eine wichtige Rolle
Die in Wien gewonnenen Erkenntnisse sollten Hundehalter nun jedoch nicht zu falschen Schlüssen verleiten. Auch weiterhin gilt es als sehr unwahrscheinlich, dass Hunde in jeder Situation Perspektivwechsel vornehmen, um die Wünsche und Gedankengänge ihres Herrchens zu verstehen. Viel wichtiger nämlich ist es den Fellnasen, einen eigenen Vorteil aus diesem Wechsel des Blickwinkels zu ziehen.
Futter als Anreiz war im Falle der Untersuchungen stark genug, um Hunde zur Perspektivübernahme zu veranlassen. Immerhin – und das werden die meisten Hundebesitzer bestätigen können – ist Futter ohnehin ein triftiger Grund für unsere Fellnasen, sich besonders anzustrengen und die eigene Komfortzone zu verlassen. Im alltäglichen Leben dürften die Erkenntnisse daher weniger von Bedeutung sein.
Dennoch ist es immer wieder interessant, das große Verständnis von Hunden und ihre Sicht auf die Welt und den Menschen zu analysieren. Alleine die Tatsache, dass auch Vierbeiner über Vorstellungskraft verfügen und sich Informationen strategisch zunutze machen können, dürfte die Sicht auf den eigenen Hund erneut ein wenig verändern.