Von Krönchenträgern und Schnellscheißerhoseninhabern

(Man möge mir den Begriff verzeihen, aber ich konnte leider kein Synonym dazu „ergoogeln“…)

Neulich in einer Hunde-Gruppe in Facebook: Respekt unter Hunden. Waldi hat das überhaupt nicht. Er ist nicht aggressiv jedoch springt er jeden Hund um den Hals den er sieht. Bis jetzt sind wir noch nie auf nen Hund getroffen der ihm die Grenzen zeigt. Oft hab ich das Gefühl er kennt bzw versteht die Hundesprache nicht wirklich. Ich hoffe das legt sich mit dem Alter etwas. (Hundename wurde natürlich verändert… Kann Waldi die Hundesprache tatsächlich nicht? Wird er sie noch lernen? Was, wenn er sie nie lernt? Ist er denn tatsächlich dumm? Ist es vielleicht gar kein Hund und versteht daher schon gar nicht, was andere Hunde sagen? Hmmmm, … was ist da nur los?

Eines kann Waldi mit Sicherheit, mit absoluter Gewissheit: hündisch! Aus meiner Erfahrung ist hier nicht Waldi (stellvertretend für alle anderen scheinbar nicht der Hundesprache mächtigen Hunde) schuld. Waldi kann das durchaus – besser gesagt, hätte das durchaus gekonnt. Was aber ist passiert, dass Waldi und Co. scheinbar den Verlust der Muttersprache zu vermelden haben? Wie bei so vielen „Problemen“ ist hier das andere Ende der Leine „schuld“. Ich spreche hier nicht gerne von Schuld, denn um eine Schuldzuweisung geht es hier gar nicht. Das, was Waldi scheinbar die Muttersprache verlernen hat lassen, liegt nicht darin begründet, dass sein Halter ihn bewusst dazu gebracht hat. Sehr, sehr viele Punkte, die dazu führen, laufen bei den allermeisten Menschen völlig unbewusst ab. Und das auch noch im guten Willen und dem festen Glauben, dass der Umgang mit dem vierbeinigen Freund so richtig sei.

Genau HIER liegt das Problem begraben. Menschen neigen dazu, angeschürt von Hundebüchern und Co, ihren Hund zu vermenschlichen. Sie stülpen dem Hund ihre Welt über, denken, ihr Hund fühle, handle, denke genauso wie sie. Nein? Ooooooh doch! Wenn ich das nun ein einigen Beispielen aufführe, wird so manch Hundehalter zu der ernüchternden Einsicht kommen, dass dem leider so ist, dass er selbst sich genau so verhält und damit seinen Hund in die Menschenwelt rückt, die gar nicht die seine ist. Es beginnt bei so banalen Dingen wie der Fehlinterpretation, was Hundi da eigentlich macht. Kommt Waldi mit einem Ball angerannt, drückt diesen penetrant an die Beine des Halters, legt ihm diesen vor die Beine, wufft aufgeregt usw. dann möchte er natürlich spielen. Wirklich? Welchen Sinn ergäbe das für einen Hund? Aus Hundesicht ist das eine Energieverschwendung.

Damit dürfte klar sein, dass eine andere Motivation hinter dem Verhalten des Vierbeiners steckt. Ich möchte nicht behaupten, dass das NIE eine Aufforderung zu einem ausgelassenen Miteinander sein kann. Es kann jedoch auch einer Ballsucht geschuldet sein und – so zeigt sich das mir: ein Testen, ob denn Hundemama oder –papa noch für ihn arbeiten. Sobald Mensch auf Hund reagiert, heißt in diesem Fall, den Ball auf Waldis Aufforderung hin schmeißt, zeigt Mensch, dass er für ihn tätig ist. Kommt Waldi und fordert Kuscheln ein. Reagiert Mensch darauf, ist der Mensch für seinen Hund tätig. Viele überschütten ihren Hund mit Aufmerksamkeit – Blick hier, Blick dort, Ansprache hier, Ansprache dort. Mit jedem Blick, den Mensch hier dem Hund schenkt, drückt er – aus Hundesicht gesehen – aus, dass er etwas vom Hund braucht.

Zudem zeigt er, dass Waldi wohl sehr wichtig im Rudel sein muss, da er schließlich die meiste Aufmerksamkeit bekommt. Ein Keks für ein Sitz heißt für den Menschen: „Ich belohne meinen Hund dafür, dass er sich gesetzt hat.“ Für den Hund heißt die gleiche Handlung: „Ich setze mich und dann gibt mir der Mensch Futter. Toll reagiert er auf mich.“ Die Beispiele ließen sich endlos weiterführen, jedoch dürfte vielleicht hier schon klar sein, was nicht ganz richtig läuft. Waldi und Co werden in ihrem Status überhöht. Sie werden zu Krönchenträgern, die sie in einem Hunderudel mit Sicherheit nicht wären. Bestärkt durch ihren Menschen, der ihm jeden Tag aufs Neue erklärt, dass Waldi der Bauchnabel der Welt, dass er sehr, sehr wichtig im Rudel ist, zieht Waldi eine für Hunde nur logische Schlussfolgerung: „Ich muss hier die Führung übernehmen.“ Genau damit sind jedoch sehr, sehr viele Hunde überfordert. Weiter kommt hinzu, dass sie in der Rolle natürlicherweise nicht wären, dafür überhaupt keine Kompetenz haben. Damit ziehen sie – gekrönt mit einem riesen Oschi auf dem Haupte – durch die Gegend, benehmen sich respektlos, benehmen sich wie manch „coole“ Jungs es tun – mit Schnellscheißerhose und falsch herum aufgesetzten Käppi. Es sind genau diese Krönchenträger, die zum einen völlig überfordert sind, in vielen Situationen überhaupt nicht angemessen reagieren können, sich respektlos Artgenossen – und zum Teil auch dem Menschen – gegenüber benehmen und damit gestresst durch die Welt laufen, vermeintlich zu Opfern werden im Kontakt mit anderen Hunden – obwohl Hundchen doch nur spielen wollte.

Dass sich Hundchen jedoch völlig unangemessen anderen Kameraden gegenüber benimmt, wird nicht gesehen – Fehlinterpretation sei Dank. Runter mit dem Krönchen, den Hund damit entstressen, ihm damit Sicherheit und Geborgenheit geben und schließlich sein ganzes Leben dadurch angenehmer machen. Denn kein Krönchenträger fühlt sich tatsächlich wohl in seiner Rolle.



Dies ist die Kolumne von Alexandra Sigmund-Wild, ausgebildete und geprüfte Hundetrainerin (Webseite: www.vontierzudir.de) bei Hund.info – Weitere Beiträge findest Du zukünftig hier: https://hund.info/kolumnen/sigmund-wild

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