Entschleunigung – ein Geschenk an dich als Hundehalter

Ein hundegerechter Spaziergang ist für mich: Zeit, die ich meinem Hund schenke.

Was das heißt: Ich bin vollkommen bei ihm, nicht abgelenkt durch Handy oder das berühmte Gedankenkarusell. Ich stelle mich auf meinen Hund ein, lass ihm die Zeit, die er braucht. Heißt konkret: Ich habe beispielsweise 1 Stunde geplant, die ich gehen möchte. Hatte ich früher dann sofort die passende Strecke in Gedanken parat, die in dieser Zeit zu schaffen war, habe ich jetzt nur noch EINEN Anhaltspunkt: Die 60 Minuten – Punkt

Das heißt, mir ist es vollkommen egal, wie weit – oder besser gesagt wie wenig weit wir kommen. Wollen meine Hunde einen Geruch intensiver aufnehmen, dann gebe ich ihnen diese Zeit. Dabei stehe ich nicht nur da und guck teilnahmslos zu, sondern bin mit dabei. Ich sehe in die Richtung, in der sie etwas wahrgenommen haben, gehe mit zur Schnüffelstelle, suche mit Mauslöcher, … Ich sehe in diesem Spazierenschleichen, wie ich das nenne, zwei sehr große Vorteile:

1. Entschleunigt es mich selbst. Besonders, wenn mir das Schleichen wieder einmal sehr schwer fällt, weil eine Endlosliste Arbeit auf mich wartet, ist es echte Überwindung, langsam zu sein. Aber gerade das hilft, die Endlosliste zu vergessen, sich auf den Augenblick zu konzentrieren und ganz bei sich zu sein.

2. Entschleunigt es den Hund. Viele Hunde, die zu uns kommen, zeigen sich sehr quirlig, sind sozusagen nebenbei mit Eindrückesammeln beschäftigt und finden keine Ruhe.

Warum? Das klärt sich sehr schnell, wenn man mit den Besitzern spricht, WIE denn ihr Spaziergang aussieht. Da wird gewalkt – neuerdings sogar power gewalkt – gejoggt, strammen Stechschrittes die Runde absolviert. Was passiert beim Hund? Er hat keine Zeit, Eindrücke aufzunehmen und vor allem zu verarbeiten. Es gibt viele Hunde, die brauchen einfach länger, um Eindrücke zu verarbeiten. Diese Zeit bekommen sie bei einem Stechschritt-Spaziergang überhaupt nicht und so ist deren Ziel, möglichst schnell möglichst viel in sich aufzusaugen – noch nicht mit dem einen Eindruck fertig hetzen sie schon zum nächsten, um den Anschluss an ihren Menschen nicht zu verlieren. Der Hintergedanke für solche Sprintspaziergänge ist oft, dass der Hund ja ausgelastet werden muss. Ich sehe an meinen beiden Hunden, dass das Spazierenschleichen WESENTLICH mehr auslastet, als wenn ich durch die Gegend hetze.

Daher ist FÜR MICH eine hundegerechter Spaziergang: Spazierenschleichen. Und dazu ist es für mich persönlich VÖLLIG egal, ob ich die Leine verwende oder nicht. Die Leine wird von vielen oft negativ empfunden, weil sie vermeintliches Begrenzen des Hundes heißt. Aus Hundesicht ist es jedoch nicht wirklich von Belang, ob da eine Leine an ihm befestigt ist oder nicht – solange die Kommunikation zwischen Hund und Halter stimmt. Stimmt diese nicht, dann ist es umgekehrt fast schon egal, ob ich eine Leine verwende – in Kontakt ist mein Hund trotz allem nicht. Diese „Schnur“ (Leine) macht nicht den Kontakt, sondern zwei Lebewesen: Hund und Mensch. Wie schafft man es nun, dass sich der Hund für einen interessiert – OHNE Leckerchen? Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Auch meine Hunde bekommen Leckerchen. ABER: Nicht, weil sie etwas gut gemacht haben, sondern dann, wenn ich gerade dran denke, mit danach ist. Und das passiert oft genug genau in dem Moment, in dem sie gerade gar nichts tun. Leckerchen sind nicht – wie so oft in Hundebüchern usw. geschildert – das ultimative Erziehungsmittel. Was passiert, wenn ich Leckerchen gebe? Ich degradiere mich selbst zum Leckerliautomaten. Abgesehen davon, dass es in der Hundewelt selbst diese Leckerli-Unsitte überhaupt nicht gibt. Warum wohl….. Arbeite ich über Leckerli, dann darf ich mich nicht wundern, dass ich nur solange interessant bin, wie ich eben diese vor mich herstreue. Läuft dann noch ein attraktiveres Leckerchen vorbei (Hase, Reh, Jogger, …) hab ich mit meinen vermeintlichen Leckerbissen verloren.
Kommunikation ist das Zauberwort. Und die erreiche ich eben NICHT über Leckerli. Um mit dem Hund zu kommunizieren, muss ich auch denken wie ein Hund und handeln wie ein Hund. ERST DANN besteht zwischen Mensch und Hund Kontakt – das unsichtbare Band, das den Hund scheinbar an mich bindet. Wie man nun den Freilauf richtig begleitet, sodass beide (Hund und Mensch) sich aufeinander verlassen können, ergibt sich zum Teil aus obigen Erklärungen. Daneben gilt es natürlich ein gutes Fundament hierfür zu haben, BEVOR ich an Freilauf für meinen Hund denke / denken kann. Erst, wenn die Basis stimmt, heißt Kommunikation zwischen mir und meinem Hund stattfindet, kann ich auch sicher sein, dass mein Hund auch im Freilauf für mich ansprechbar ist / mit mir in Kontakt ist.

 

Dies ist die Kolumne von Alexandra Sigmund-Wild, ausgebildete und geprüfte Hundetrainerin (Webseite: www.vontierzudir.de) bei Hund.info – Weitere Beiträge findest Du zukünftig hier: https://hund.info/kolumnen/sigmund-wild

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3 Kommentare

  1. Ich arbeite mit Leckerchen. 100% des Futters gibts als Belohnung. 80% gibts, so wie bei dir, wenn mein Hund nichts tut, weil ich damit bewusst das ruhige Verhalten verstärke. 10% gibts, wenn er den Leckerliautomaten bedient. Und 10% für Tricks. Ich bin auch noch interessant, wenn ich keine Leckerlis rumwerfe, weil ich gelernt habe wie man Leckerchen richtig einsetzt.

    Immer wieder witzig, wenn Menschen glauben, daß sie das Verhalten ihrer Hunde nicht positiv/negativ verstärken, sondern „kommunizieren“ würden. Als wenn ihre Hunde anders lernen würde, als alle anderen Hunde.

    Ich habe gestern mit „Spazierschleichen“ begonnen und hatte noch nie einen so entspannten Hund wie heute.

    • Eine Kommunikation mit Hund ist etwas anderes als eine Konditionierung. Hunde KANN man konditionieren, entspricht jedoch nicht ihrer Natur.
      Hunde kommunizieren untereinander. Und genau das tun wir auch – soweit uns Menschen das möglich ist

  2. Dann bin ich ja froh, dass ich das eigentlich immer so mache: Hunde von der Leine und ab gehts durchs Grün. Da wir gerade einen neuen Hund bekommen haben, habe ich mich durch zwei, drei Hundebücher gelesen und mich verrückt machen lassen: Mensch, ich spiele gar nicht so oft mit den Hunden (gut, die beiden Damen waren schon alt, eine hat nie spielen gelernt, die andere jagt zwar noch gerne Bällen hinterher aber wird auch träger), die sind nicht ausgelastet, was ist dann, wenn der neue, zweijährige Wirbelwind kommt? Der kam, am Freitag, kann zwar noch lange nicht von der Leine, denn dann ist er weg, aber was mir im Tierheim als völlig überdrehter Wirbelwind verkauft wurde (wir waren so verliebt, das haben wir in Kauf genommen), ist jetzt, nach einigen Tagen, zwar ein durchaus lebhafter, aber vom Gemüt her eher gemütlicher Hund, der gerne durch die Felder schnüffelt und Mäuse ausbuddelt. Geht doch! Schön zu lesen, dass man es eben nicht grundverkehrt macht, weil man sich kein strammes Bespaßungsprogramm ausdenkt, sondern je nach Lust und Laune Bälle wirft – oder eben auch nicht. Ich werde es mir merken und mich nicht mehr verrückt machen lassen. Und was Leckerlis angeht: Ich finde es lästig, diese Beutel dabei zu haben, wenn es doch ausreicht, zu streicheln und zu loben. Und meine alte Dame kommt tatsächlich immer gern zu mir zurück.
    Danke.

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