Artgenossenaggression an der Leine

Komm, sei doch brav!

Spaziergang mit Hund kann richtig erholsam sein – wenn da nicht die kleinen Machos unterwegs wären…
Ein Bild, das sich bestimmt schon vielen geboten hat: Klein-Waldi hängt in der Leine, stranguliert sich beinahe und röchelt wie wild vor sich hin. Dazwischen, wenn die Luft dazu wieder ausreicht, hört man wildes Gekläffe. Der Grund für diese Aufregung: Ein anderer Hund erdreistet sich, ihren Weg zu kreuzen.

Wild entschlossen, den Artgenossen wenigstens verbal in den Boden zu rammen, plustert Waldi wie ein Gockel die Federn, ähm das Fell, drückt die Beine durch, hängt sich mit aller Kraft in die Leine, sodass das arme Frauchen am anderen Ende wohl den Eindruck haben muss, da hinge gewichtstechnisch mindestens eine Bulldogge an der Leine. Begleitet wird das Ganze von einer hoch aufgereckten Rute – erinnert fast an den Effenberg 😉 und dem Redeschwall seines sichtlich verzweifelten Frauchens. „Tztztz, was du nur wieder hast. Nun guck doch, der will doch gar nichts von dir. Der tut dir doch nichts! Komm, hier hast du ein Leckerli. Schön brav sein“, redet sie beschwichtigend auf ihr Hundchen ein, die Leine fest um die Hand gezurrt, um das kleine „Raubtier“ auch bändigen zu können – selbstredend, dass Klein-Waldi nun absolut kein Interesse an den Worten oder am Bestechungsversuch seiner Hundemama hat.

Man stelle sich nun doch einfach mal vor, eine Mama geht mit ihrer kleinen Tochter zum Bäcker. Beide stehen vor dem Verkaufstresen, die kleine Jacqueline an der Hand der Mama. Kaum sieht das Mädchen die Verkäuferin, fängt es wütend und lautstark zu schimpfen an, zerrt an der Hand der Mutter und würde am liebsten der Verkäuferin an den Hals springen. DIE Mutter möchte ich sehen, die dann auf ihr Kind einredet: „Na, jetzt guck doch, wie brav die Frau ist. Die tut dir doch nix. Hier, hast du ein Bonbon. Schön brav, gell?“

Ich glaube, spätestens an diesem Punkt, dürften wir uns alle einig sein: So ein Verhalten würden wir nicht dulden.

Hat Klein-Waldi etwa vergessen, dass er selbst zu dieser Spezies gehört und ihm da nicht etwa ein Außerirdischer vom Stern Melmac auf der Straße begegnet ist? Ich möchte Waldi nun wirklich nicht verurteilen. Woher soll er denn schließlich wissen, dass man sich so nicht benimmt. Sein Frauchen gibt ihm ja sogar noch die Bestätigung, dass sein Gebaren gut ist. Wahrscheinlich würde er diese sogar noch maßregeln, würde sie eingreifen. Schließlich hat sie ihm bisher vermittelt, dass sie ihm kein Schutz ist, sie ihm keine Sicherheit gibt und hat ihm schon gar keine Grenzen erklärt. Viele Hundebesitzer versuchen ihren Hund in so einer Situation zu beruhigen, doch unbewusst bestätigen sie solch ein Verhalten damit nur.

Dabei braucht der vierbeinige Freund vor allem eines: klare Ansagen für erwünschtes, wie auch für unerwünschtes Verhalten. Mit Leckerchen kommuniziere ich dem Hund hier gar nichts. Hundehalter sollten ihren Alltag mit ihrem Hund so leben, dass die Tiere das sichere Gefühl haben, ihr Mensch kann Probleme lösen, bietet ihnen Schutz und Sicherheit. Waldis Problem ist nicht der andere Hund. Sein Problem befindet sich an der anderen Seite der Leine. Und so lange sich Waldis Frauchen nicht ändert, wird er sich auch nicht ändern.

 

Dies ist die Kolumne von Alexandra Sigmund-Wild, ausgebildete und geprüfte Hundetrainerin (Webseite: www.vontierzudir.de) bei Hund.info – Weitere Beiträge findest Du zukünftig hier: https://hund.info/kolumnen/sigmund-wild

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