„Du hast aber einen dominanten Hund“ Mythos oder Fakt?

Der Begriff „Dominanz“ ist ein oft missverstandener Begriff in der (menschlichen) Hundewelt. Mythen zu diesem Thema halten sich hartnäckig in den Köpfen der Menschen. Ist ein Hund aggressiv oder sehr temperamentvoll, wird er oftmals als dominant bezeichnet. Der Mythos, dass der Hund sein Leben lang darauf bedacht ist, die Chefrolle zu übernehmen, hört man als Hundehalter ebenfalls immer wieder. Doch ist das tatsächlich so?

Ein Beispiel dazu aus dem Alltag

Ein für den Hund fremder Mensch geht auf einen angeleinten Hund zu. Dieser Hund knurrt. Der fremde Mensch erklärt daraufhin: „Das dürfte sich mein Hund aber nicht erlauben. So ein extrem dominantes Verhalten muss man sofort unterbinden. Eigentlich würde ich dem Hund sofort mit dem Alphawurf zeigen, wer hier der Chef ist“.

Doch was ist hier passiert? Zeigt der Hund tatsächlich dominantes Verhalten gegenüber dem fremden Menschen?

Verwechslungsgefahr: Dominanz vs. normale Kommunikation

Situationen wie hier beschrieben gibt es im Alltag zu Genüge. Die normale, gesunde hündische Kommunikation wird hier mit dem Oberbegriff „Dominanz“ zerschlagen. Die meisten Hunde sind bei einer frontalen Kontaktaufnahme durch einen fremden Menschen nicht in purer Freude. Erst recht nicht an der Leine. Die Leine schränkt den Hund in seiner natürlichen Kommunikation ein, weshalb er sich zunächst unsicher fühlen kann. Sein Unwohlsein kann der Hund mit unterschiedlichen Strategien kommunizieren. Hier war es das Knurren, wodurch der Hund mitteilt: „Ich fühle mich gerade unwohl, bitte lass das“. Mehr auch nicht. Dominantes Verhalten ist hier nicht gegeben, lediglich eine Reaktion des Hundes auf eine Aktion des Menschen: Kommunikation.

Hund zeigt Dominanz

Wesen: dominant?

Weit verbreitet ist die Wesensbeschreibung „dominanter Hund“. Das würde bedeuten, dass dieser Hund in jeglichen Situationen gegenüber Artgenossen und gegenüber Menschen dominantes Verhalten zeigen würde.

Gibt es überhaupt DEN dominanten Hund? Dazu müssen wir ein Stückchen zurückspulen zu den Dominanzgesten eines Hundes wie zum Beispiel:

  • Der Hund hat zu einem bestimmten Zeitpunkt als erster den Zugriff auf bestimmte Ressourcen (Futter oder Spielzeug etc.)
  • Das Eingrenzen eines Kommunikationspartners (den Weg versperren)
  • Imponierverhalten (groß machen, fixieren, den Kopf sehr hoch tragen)
  • Kopf auflegen
  • Aufreiten (dies kann jedoch auch sexuell motiviert sein)

Die vorgenannten Beispiele zeigen schon, dass Dominanz immer situations- und beziehungsabhängig ist. Leben mehrere Hunde zusammen, kristallisiert sich natürlich häufig heraus, welcher Hund meistens den dominanteren Part innehat. Diese soziale Dominanz ist ein einziger Aspekt in der Beziehung zwischen zwei zusammenlebenden Hunden. Situativ kann jedoch auch der augenscheinlich subtilere Hund dieser Beziehung sein. Er kann wichtige Ressourcen wie zum Beispiel den bevorzugten Liegeplatz für sich beanspruchen. In dieser Situation steckt der häufig dominantere Hund dann auch mal zurück.

Dominanz als Wesensbeschreibung ist somit irreführend. Weder ist Dominanz angeboren, noch gehört sie zum Dauerzustand des Verhaltens eines Hundes.

Dominanz in der Mensch-Hund-Beziehung

Oft ist die Rede davon, dass der Mensch in der Mensch-Hund-Beziehung dominant sein muss um damit der „Rudelführer“ zu sein. Doch uns Menschen ist es nicht möglich der „Rudelführer“ für einen Hund zu sein. Der Grund ist ganz einfach. Wir sind keine Hunde. Damit können wir gar nicht in dem Umfang kommunizieren, wie es die hündischen Artgenossen untereinander tun.

Alphawurf bei Wölfen
Der Alphawurf bei Wölfen

Wir wären dann auch wieder bei den Methoden wie beispielsweise den Alphawurf oder das Nackenschütteln.

Einmal abgesehen davon, dass diese Verhaltensweisen tierschutzwidrig sind, sind sie kein Bestandteil in der Kommunikation unter Hunden. Schüttelt ein Hund einen anderen Hund und packt ihn dabei im Nacken, möchte er nicht kommunizieren, sondern töten. Würden wir Menschen dieses Verhalten versuchen zu imitieren, löst das beim Hund Todesängste aus. Die Beziehung zwischen Hund und Mensch wird durch diese und ähnliche „Erziehungsmethoden“ schwer geschädigt, wenn nicht sogar irreparabel zerstört.

Regeln in der Hundeerziehung

Statt zu versuchen mit den vorgenannten fragwürdigen Dominanzmethoden, den Chef im Hause darzustellen, müssen wir ohne physische und psychische Gewalt den Hund führen. Hunde, besonders auch unsichere Individuen, benötigen eine klare Führung im Alltag. Regeln und Strukturen helfen dem Hund, sich im Alltag zurechtzufinden und bilden einen wichtigen Anker im Leben eines Hundes. Unsichere oder ängstliche Hunde finden in diesen Strukturen die nötige Sicherheit. Diese Hunde wissen damit ganz genau, was als Nächstes passiert. Sie müssen sich damit nicht jedes Mal neu auf etwas einstellen, sondern vertrauen in unsere Handlungsweisen, in unsere Alltagsstrukturen.

Temperamentvollen Hunden oder solche, die sehr schnell in ihrer Stimmungslage hochfahren und unter Umständen leicht reizbar sind, benötigen ebenfalls Regeln im Zusammenleben mit ihren Menschen. Für diese Hunde stellen bestimmte Strukturen ebenfalls ein Anker dar. Dieser Anker ist für sie eine Art Ruhepol. Auch sie müssen sich nicht auf neue Dinge einstellen und damit ihr positives oder negatives Erregungslevel wieder hochfahren.

Der Mensch sollte diese Führungsrolle mit Souveränität und ohne Gewalt einnehmen. Mit einer großen Portion Ruhe stellt er für den Hund dann einen verlässlichen und vertrauensvoller Teampartner dar. Der Hund vertraut darauf, dass sein Mensch ihn sicher führt und durch die Welt begleitet. Wann immer angespannte Situationen für den Hund gibt, kann er auf seinen Anker/seinen Menschen, vertrauen.

Das menschliche Beispiel

Ob wir unseren Hund als harten, dominanten Rudelführer oder als souveränen Teampartner anleiten und führen wollen, können wir an einem kleinen Beispiel aus unserer Arbeitswelt ganz gut nachvollziehen.

Nehmen wir mal an, es gibt da einen Chef, der sein Team regelmäßig anschreit. Er droht mit Konsequenzen, wann immer es brenzlig wird. Dann gibt es den anderen Chef, der sein Team souverän und ruhig anleitet. Wird es brenzlig, sucht er gemeinsam mit seinem Team nach Lösungen. Mit welchem dieser Chefs würden wir gerne zusammenarbeiten? Mit Sicherheit würden die meisten Menschen den souveränen Chef bevorzugen. Er strahlt Vertrauen aus und bei ihm haben wir das Gefühl, dass er die Situation im Griff hat. Der laute, „dominante“ Chef hingegen strahlt alles andere als Vertrauen aus. Wir würden uns nicht sonderlich wohl wühlen mit der Angst im Nacken, die nächste Standpauke zu erhalten.

 

Fazit

Dominanz, Rudelführer oder das „Alphatier“ sollten gerade in der Beziehung zwischen Mensch und Hund nicht inflationär genutzt werden. Dominanz eines Hundes gegenüber einem Menschen ist immer nur eine Momentaufnahme bestimmter Gesten. In den allermeisten Fällen wird Kommunikation, ob sie nun aggressiv oder auch spielerisch gemeint ist, mit Dominanz als Charaktereigenschaft gleichgesetzt.

Wir Menschen müssen keine Angst haben, dass unser Hund die Weltherrschaft durch Dominanz an sich reißen möchte. Situativ kann ein Hund natürlich Dominanz zeigen und Situationen aus seinen eigenen Entscheidungen heraus klären. Doch Hunde sind nicht darauf erpicht, sich tagtäglich Non- Stop als Alphatier zu beweisen. Auch der Mythos, dass ein Hund Dominanz zeigt, indem er erhöhte Liegeplätze wie zum Beispiel das Sofa aufsucht, ist längst widerlegt. Der Grund, dass ein Hund gerne das Sofa nutzen möchte ist denkbar einfach. Es ist bequem und es riecht nach seinem Menschen. Ob der Hund denn auf dem Sofa liegen darf, kann sein Mensch entscheiden – Stichwort Regeln und Strukturen.

Mit souveräner und ruhiger Führung sind wir für unseren Hund ein willkommener Teampartner. Der Hund kann vertrauen, lässt sich führen und stellt Handlungen und Regeln nicht ständig infrage. Fairness, Teamplay und Souveränität sind demnach die wichtigsten Faktoren für eine gesunde Mensch-Hund-Beziehung. Dominanzgerangel wäre dann gar nicht mehr nötig.

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ein Kommentar

  1. Zu unseren 11jährigen Jack-Russel haben wir einen Jack-Russel-Welpen geholt. Beides Weibchen und ältere ist sterilisiert. Die Ältere hat – glaube ich – inzwischen Depressionen. Sonst verfressen läßt sie ihr Futter stehen und nimmt nur Leckerlis auf Spaziergängen auf. Auf Spanziergängen ist alles ok, aber im Garten und zuhause zieht sich die ältere zurück. Spielt nie (hat sie aber auch noch nie getan) und wirkt einfach depressiv. Kann man da noch was machen?

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